Karin Haubenwaller über die Notwendigkeit von Emotionsarbeit in der Langzeitpflege.
In ihrer Abschlussarbeit des „Advanced Nurse Practice“ Studiums an der IMC Fachhochschule Krems beschäftigte sich Karin Haubenwaller, DGKP und Pflegeberaterin im HB Seeböckgasse mit Emotionsarbeit in der Langzeitpflege. Ihr Ziel: wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zur besseren Bewältigung von belastenden Pflegesituationen zu erforschen. Im Gespräch verrät sie uns, warum Gefühlsarbeit wichtig für die emotionale Gesundheit ist, wie dies im HB umgesetzt wird und welche Rolle die Führungskräfte dabei spielen.
Karin Haubenwaller ist gebürtige Steirerin und hat 16 Jahre im LKH Graz auf der Station der onkologischen Dermatologie gearbeitet, zehn Jahre davon als Leiterin. Der Liebe wegen erfolgte der Umzug nach Wien. An der ICM Fachhochschule Krems startete Haubenwaller das Studium „Advanced Nursing Practice“, das sie im Februar 2020 als berufsbegleitendes Bachelorstudium mit Auszeichnung abschloss. Ihre Abschlussarbeit zählt zu den besten des Jahrganges. Seit Oktober 2019 arbeitet Karin Haubenwaller als DGKP und Pflegeberaterin im HB Seeböckgasse. Über ihre Arbeit sagt sie: „Mich begeistert, dass ich andere für die Pflege begeistern kann!“
Frau Haubenwaller, in Ihrer Bachelorarbeit befassen Sie sich mit der Emotionsarbeit in der Pflege. Worum geht es dabei und warum liegt Ihnen dieses Thema am Herzen?
In meinem Studium „Advanced Nursing Practice“ hatte ich die Möglichkeit, mich vertiefend mit dem Kern von professioneller Pflege zu befassen. Was ist eigentlich professionelle Pflege, wo grenzt sie sich von anderen Berufen ab? Ein wesentlicher Aspekt dabei ist die Beziehungsarbeit – die Interaktion mit Patientinnen und Patienten in der Pflege. Wir überschreiten oft Tabu- und Schamgrenzen, werden mit Leid, existentiellen Nöten und Ängsten konfrontiert, aber viele Pflegebedienstete setzen sich kaum mit den Auswirkungen auf die eigene Emotion und mentale Gesundheit auseinander.
Auch ich bin in meiner langjährigen Tätigkeit als DGKP (Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegeperson) immer wieder in Grenzsituationen gekommen, in denen ich – wie viele Kolleginnen und Kollegen auch – nicht bewusst hingeschaut und mich gefragt habe: „Was bräuchte ich jetzt eigentlich, damit ich alles, was tagtäglich auf mich einströmt, gut verarbeiten kann? Was brauche ich, um stark genug für den Berufsalltag zu sein?“ Hier kommt die Emotionsarbeit ins Spiel.
Was ist der Kern der Emotionsarbeit?
Emotionsarbeit wird als berufliche Regulierung der eigenen Emotionen anhand von Gefühls- und Darstellungsregeln beschrieben. Professionelle Pflege ist ein hochemotionales Arbeitsfeld. Besonders in emotional angespannten und belastenden Situationen ist die Regulierung der eigenen Emotionen für Pflegekräfte aber keineswegs immer einfach – oder verfügbar. Oft habe ich im Laufe meiner beruflichen Tätigkeiten Aussagen wie „Das gehört zu dem Beruf dazu“, „Daran gewöhnst du dich mit der Zeit schon“ oder „Wenn du das nicht aushältst, musst du einfach härter werden“ gehört. Das glaube ich aber aus eigener Erfahrung nicht: Emotionen kann und soll man sich nicht einfach abgewöhnen. Das kann zu negativen Auswirkungen für Pflegepersonen sowie für Patientinnen und Patienten führen, wofür ich im Rahmen meiner Arbeit auch wissenschaftliche Belege gefunden habe.
In welcher Form kann Emotionsarbeit in der Pflege stattfinden?
Emotionen an sich sind etwas sehr Individuelles und dementsprechend sind die in der Literatur beschriebenen Maßnahmen sehr vielschichtig. In den verschiedenen Konzepten zur Emotionsarbeit werden aber zwei zentrale Emotionsregulierungsstrategien beschrieben: Surface Acting (Oberflächenhandeln) und Deep Acting (Tiefenhandeln), wobei die letztere als die gesündere Strategie gilt.
Können Sie das anhand eines Beispiels erklären?
Gerne. Ich nehme ein Beispiel, das bestimmt jede Pflegeperson schon einmal erlebt hat. Man gibt sein absolut Bestes, versucht alles, um einen Bewohner zufrieden zu stellen, trotzdem kommt es zu einer Beschwerde, etwa eines Angehörigen. Jeder, der schon in einer ähnlichen Situation war, weiß, wie es einem dann geht. Man ist enttäuscht, fühlt sich nicht wertgeschätzt, nicht anerkannt. Das äußert sich oft in einem mulmigen Gefühl, man fühlt sich unwohl. Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie man reagieren kann.
Ein Oberflächenhandeln wäre hier, sich nichts anmerken zu lassen, obwohl innerlich die Gefühle brodeln. Beim Tiefenhandeln hingegen versetzt man sich in die Lage des Angehörigen und stellt sich vor, wie es ihm geht. Man begibt sich bewusst in die Situation des anderen und teilt als nächsten Schritt auch die eigenen Bedürfnisse mit. Dieses Deep Acting ist die gesündere Variante und daher sollten Pflegepersonen darin geschult werden. Daneben ist es wichtig, sie darin zu befähigen, flexibel auf ein möglichst großes Repertoire an Emotionsregulierungsstrategien zurückgreifen zu können.
Welche weiteren Wege gibt es für Emotionsarbeit in der Langzeitpflege?
Ein sehr wichtiges Modell für die Planung von gesundheitsfördernden Maßnahmen ist beispielsweise die Salutogenese von Aaron Antonovsky. Er geht dabei von drei Aspekten aus, die Menschen trotz widrigster Umstände gesund halten: Verstehbarkeit, Sinnhaftigkeit und Handhabbarkeit, zusammengefasst wird das als Kohärenzgefühl bezeichnet. Diese drei Komponenten haben uns im HB zum Beispiel auch bei der Planung von Maßnahmen in der Corona-Krise gut geholfen.
Erklären Sie uns das bitte genauer.
Zum Thema „Verstehbarkeit“ kann man die Schulungen über die neuen Schutz- und Hygienemaßnahmen als Beispiel nennen, die für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung standen. Bei der „Sinnhaftigkeit“ ging es darum, allen zu erläutern, warum wir diese Schutzmaßnahmen brauchen und welche Werte dahinterstecken – etwa der maximale Schutz für unsere Bewohnerinnen und Bewohner sowie für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und die „Handbarkeit“ beschreibt die Maßnahmen, die gesetzt wurden, damit all das auch in der Praxis umgesetzt werden kann. Als wichtigster Aspekt ist hier der Team-Zusammenhalt zu nennen. Dieser Team-Spirit im HB hat uns alle durch die Krise getragen. Dementsprechend nehmen hier auch die Führungskräfte eine wichtige Rolle ein, die eine Kultur geschaffen haben, in der dieses authentische Team-Klima ermöglicht wird.
Wie sieht diese Teamkultur im HB genau aus?
Hier gibt es zum Beispiel Freiräume für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – Zeit für informellen Austausch miteinander. Daneben wird hier auch die strukturierte Förderung der reflektierten Praxis umgesetzt. Dabei werden einzelne Situationen des Pflegealltags reflektiert und analysiert: Wie ist etwas abgelaufen, welche Emotionen sind hochgekommen, wo ist Bedarf, genauer hinzuschauen. Für den Fall, dass genauer hingeschaut werden muss, gibt es wiederum weitere Möglichkeiten wie die Supervision, die Fallbesprechung oder kollegiale Beratung. Für mich war so beeindruckend, dass all das bei uns im Unternehmen schon gelebte Kultur ist. Es gibt im HB schon ganz viele Angebote, die schwierige Situationen bewältigbar machen.
Wo gibt es noch Bedarf?
Ein wichtiges Ergebnis meiner Arbeit ist, dass es ein enormes Wissensdefizit auf Seite der Pflegepersonen zum Thema Emotionsarbeit gibt. Sie werden in ihren Ausbildungsstätten zu wenig auf dieses Thema aufmerksam gemacht, es ist auch noch kein exklusiver Bestandteil der Ausbildung. Was noch fehlt, ist ein übergeordnetes Programm für Pflegepersonen, mit dem ein Repertoire an Strategien entwickeln werden kann, das dann den Alltag erleichtert. Ich glaube, dass wäre auch hinsichtlich der Zukunft unseres Berufszweiges sehr wichtig, um junge motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzusprechen und auch in der Pflegebranche halten zu können.